Einen solchen Anruf erhält man nicht alle Tage: Die New York Times will eine Geschichte über die kleinen Parteien in der Schweiz machen. Auch parteifrei.ch soll darin vorkommen. Wir vereinbaren einen Termin und ein paar Tage reise ich nach Zürich, mit frischem Hemd und leicht gewölbter Brust. Anderthalb Stunden lang erkläre ich Sally die aus lauter Minderheiten bestehende Schweiz, das politische System, die direkte Demokratie, die Konkordanz, die Mehrheit der Parteilosen in den Gemeindeexekutiven – ein Komplett-Service, wie ich ihn noch nie einem Kollegen oder einer Kollegin liefern musste. Sie schreibt ihr Notizbuch voll – mindestens 20 Seiten. Ich sage ihr vergeblich, sie brauche wirklich nicht alles aufzuschreiben.
Dann frage ich sie nach dem nächsten Termin – die Narrenpartei – und ich ahne Unangenehmes. Ich unterstreiche nochmals: «parteifrei.ch is serious».
Ein paar Tage später die Bescherung: Aufhänger der Geschichte der New York Times ist die unselige «Partei» eines Rhetorik-Trainers und Autors, der allein zur Promotion seines Buches bei den Wahlen in Zürich antritt. Ich weiss aus sicherer Quelle, dass er die 400 Unterschriften zur Einreichung seiner Liste kaufen wollte – und höchstwahrscheinlich hat er das auch getan. Er gibt unumwunden zu, dass der Zweck seiner Kandidatur die Verkaufsförderung seines Buches ist und hat sogar noch die Frechheit zu behaupten, dies qualifiziere ihn als ehrlichen Politiker. Natürlich ist dies ein Missbrauch unseres Systems, aber das sei der Preis der Freiheit in unserer Demokratie, sage ich Sally, als sie mich auf diese «Partei» anspricht. Und das ist auch der einzige Satz, den sie neben der Bemerkung über den leichten Start von parteifrei.ch zitiert. Sonst befasst sich die ganze Geschichte der New York Times mit Exoten und Partikularinteressen, die sich ins politische Rampenlicht drängen. Wer den Text liest, gewinnt den Eindruck, die Wahlen in der Schweiz seien eine Art Polit-Karneval, in der sich jedermann ein buntes Mäntelchen umhängen und im Umzug mittanzen darf.
Und für einen solchen Text schickt die angeblich beste Zeitung der Welt eine Reporterin für ein paar Tage in die Schweiz und gibt etliche tausend Dollar aus. Ein ziemlich grosser Aufwand, nur um zu zeigen, dass die einzige direkte Demokratie der Welt offenbar eine Spassveranstaltung ist und Beschränkungen für den Zugang zu Wahlen zu fordern. Aber vielleicht war dies ja der Zweck der Übung.
Lesen Sie selbst: http://www.nytimes.com/2011/09/22/world/europe/political-parties-on-fringe-abound-in-switzerland.html
La dictature, c’est ferme ta gueule.
La démocratie, c’est cause toujours.
[…] Link zu christoph-pfluger.ch […]
Ich bin entsetzt über die Frechheit dieser Berichterstattung! Die „New York Times“ verkommt damit zum billigen Schmierenblatt. Langsam aber sicher halte ich die Amerikaner für aufgeblasen und inkompetent.
Viele US-Institutionen sind aufgeblasen und inkompetent, aber keineswegs alle Amerikaner. CP
Schwach! Und dass die grossen Parteien uns und andere (auch Spass-Parteien) ausschliessen wollen, zeigt, wie viel von unserer Demokratie noch übrig ist. Das sollte echt zu Denken geben!
Ich sehe das Problem nicht wirklich. Die APP wird klar als sehr fragwürdiges Beispiel aufgeführt und der Kommentar über sie, dass dies halt der Preis des Wahlsystems ist, scheint korrekt wiedergegeben.
Bei den Piraten wird auf den jüngsten Erfolg in Berlin verwiesen und es wird erwähnt, dass auch die Grünen mal als klitzekleine Einthemenpartei begonnen hatten, nun aber zur Parteienlandschaft gehören. Damit ist doch für die Leser klar, dass im Grunde auch unter den nun erstmals antretenden Gruppen auch solche dabei sein können, die in sechs Monaten nicht einfach weg vom Fenster sein werden.
Hallo Christoph,
lese doch mal „Nachrichten.ch“ die Kolumne von Heute……Ziemlicher Klartext
Liebe Grüsse von Uwe (Westschweiz)