Für den Konkurs von Staaten gibt es noch immer kein geregeltes Verfahren. Zu diesem bekannten Mangel hat der Zürcher FDP-Ständerat Felix Gutzwiller ein Postulat eingereicht, das den Bundesrat auffordert, über das «Financial Stability Board» FSB ein international koordiniertes Insolvenzverfahren. Das tönt auf den ersten Blick sehr vernünftig. Auf den zweiten Blick ist es nur noch gefährlich.
Das FSB, im Schoss der G20 entstanden, besteht zwar zur Hauptsache aus den Zentralbanken der 24 Mitgliedsstaaten sowie den wichtigsten globalen Finanzinstituten wie der Weltbank, aber es ist ein formloser Verein ohne völkerrechtliche Grundlage und ohne demokratische Legitimation. Geleitet wird das FSB vom ehemaligen Goldman-Sachs-Banker Mario Draghi, zur Zeit noch italienischer Zentralbankchef und designierter Leiter der europäischen Zentralbank. Seinen Sitz hat das FSB exterritorial an der Bank für int. Zahlungsausgleich in Basel und schwebt damit gewissermassen im rechtsfreien Raum.
Die Zentralbanken unterstehen zwar formell den Regierungen ihrer jeweiligen Länder, sind aber juristisch bestens gegen demokratische Einflussnahme abgesichert, angeblich um sich vor den inflationären Gelüsten der Staatsmacht zu schützen. In Tat und Wahrheit betreiben die Zentralbanken selber in letzter Zeit eine höchst inflationäre Politik, vor allem im Interesse des privaten Bankensektors und zum Teil in Missachtung der geltenden Gesetze. So kaufen das amerikanische Fed und die EZB seit einiger Zeit Staatspapiere und helfen so, die Bilanzen der überschuldeten Banken sauber zu halten.
Diese Staatspapiere sind allesamt uneinbringlich, auch die mit AAA-Rating. Das Beispiel Deutschlands, des wirtschaftsstärksten Landes Europas mit AAA-Rating, illustriert dies.
Die deutschen Staatsschulden betragen insgesamt gut 2 Billionen Euro. Verteilt auf die 40 Millionen Haushalte ergibt dies pro Haushalt 50’000 Euro. Das Netto-Einkommen pro Haushalt beträgt 1350 Euro monatlich oder 16’200 pro Jahr. Wenn nun die Gürtel massiv enger geschnallt würden, die Menschen in halb so grosse Wohnungen umzögen, Diät hielten, auf Ferien verzichteten und so ihre Kosten halbieren, würde es mehr als sechs Jahre dauern, die Schulden abzutragen. Das ist nur schon deshalb unmöglich, weil ein derartiger Konsumverzicht auch einen Lohnsturz zur Folge hätte, die Steuereinnahmen einbrächen und Verschuldung trotz dieser Gewaltsanstrengung kaum sinken würde. Die Staatsschulden von Deutschland sind also absolut uneinbringlich, trotz AAA-Status und offiziell null Ausfallrisiko.
Wenn nun die Zentralbanken trotz besseren Wissens (auch wenn sie diesen Blog nicht lesen) solche Staatspapiere kaufen, betreiben sie aktiv Konkursverschleppung. Damit sind in der Regel verschiedene Straftatbestände verbunden (siehe www.konkursverschleppung.ch). Und ausgerechnet diesen Zentralbanken, die sich der Konkursverschleppung zugunsten des Bankensektors schuldig gemacht haben, soll die Regelung des Staatsbankrotts überlassen werden. Es ist kaum zu glauben. Den Banken die Konkursverwaltung zu überlassen – ein Akt der Justiz! – heisst, den Bock zum Gärtner machen.
Wie die globale Finanzwirtschaft mit konkursiten Staaten umgeht, dazu gibt es reiche Erfahrung: die Dritte Welt. Viele dieser Länder werden zu Zahlungen auf dem Buckel der Bevölkerung gezwungen, obwohl diese längst unter das Existenzminimum gefallen sind und nach schweizerischem Recht gar nicht mehr betrieben werden dürften.
Es werden also zwei Rechtssysteme angewandt, ein demokratisch begründetes für Individuen und ein privat erlassenes, wesentlich schärferes für Staaten. Wenn es Institutionen gibt, die Regeln für den Staatsbankrott erlassen können, dann sind dies die UNO, das Europaparlament oder die nationalen Parlamente, aber sicher nicht ein privater Club von Zentralbanken, von denen die meisten ohnehin als Aktiengesellschaften organisiert sind (z.B. die Schweizerische Nationalbank) oder vollständig in Privatbesitz stehen, wie etwa die grösste aller Zentralbanken, das amerikanische Federal Reserve System.
Der Vorstoss Gutzwiller zeigt: Der Staatsbankrott dringt langsam von den Trading-Rooms der Investmentbanken in die Politik, aber nicht in die demokratisch legitimierten Gremien, sondern ins Schattenreich der Finanzmächte. Das ist ein sehr bedrohliches Szenario, umso mehr als Politiker und Parteien das gravierende Problem nicht erkennen oder es, wie im Falle von Gutzwiller und den 28 Mitunterzeichnern seines Postulates in eine zweifelhafte Richtung lenken, nämlich in ein Hinterzimmergremium, das als Organ der G20 der Machtpolitik und nicht dem Recht verpflichtet ist.
Was tun? Je tiefer ich in die geldpolitische Misere dringe, je mehr Politiker und Experten ich mit den Fakten konfrontiere und je präziser ich nachfrage, desto grösser wird meine Ernüchterung. Entweder wissen die Verantwortlichen tatsächlich nichts – das wäre dumm. Oder sie schweigen – das wäre schwach. Oder sie lügen – da fehlen mir die Worte.
Ceterum censo Hildebrandum esse dimissum
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Financial Stability Board: Vorne schwer verständlicher Schönsprech, hintenknallharte Umverteilung
Das FSB beruft sich auf ein Mandat der Staatsoberhäupter und Regierungschef der G20 vom 2. April 2009. Mitglieder sind die Zentralbanken von 24 Ländern, Finanzdepartemente, Finanzaufsichtsbehörden sowie IWF, Weltbank und andere weltweite finanzpolitische Institutionen. Sie verpflichten sich gemäss Statuten, «finanzielle Stabilität» und «Offenheit und Transparenz des Finanzsektors» (!) zu erhalten und internationale Finanz-Standards einzuführen. Kommissionen des FSB befassen sich mit den Schwachstellen des Finanzsystems, der Überwachung und den Standards. Daneben bestehen u.a. eine ad-hoc-Arbeitsgruppe für grenzüberschreitendes Krisenmanagement und eine Expertengruppe für nicht kooperative Staaten.
An seiner letzten Sitzung vom 3. Oktober in Zürich verabschiedete das FSB seine Empfehlungen zu Handen des nächsten G20-Gipfels vom November. Die dazu verbreitete Pressemitteilung tönt schön, aber ausgesprochen vage. Mit solchen Texten kann nur etwas anfangen, wer den spezifischen Jargon in Klartext übersetzen kann. Wenn sich das FSB für finanzielle Stabilität einsetzt, dann bedeutet dies in erster Linie Schutz des Bankensektor, Konkursverschleppung und damit fortgesetzte Umverteilung von der Realwirtschaft (Arbeitende, KMUs etc.) in die Finanzwirtschaft.
Interessant ist die Frage nach der Rechtsform des FSB. Auf der Website ist kein Hinweis zu finden. Wir wissen also nicht, ob es ein Verein ist, ob er allenfalls nach schweizerischem Recht geführt wird, woher die Mittel stammen und wer die Rechnung revidiert. Die Bank für Int. Zahlungsausgleich (BIZ), wo sich das Sekretariat des FSB befindet, unterliegt jedenfalls nicht schweizerischem Recht.
Die Statuten geben darüber keine Auskunft und auf der Website finden sich keine Hinweise. Auch eine telefonische Nachfrage beim FSB in Basel ergibt keine Antwort. Man bitte mich, die Frage per e-mail zu deponieren. Die Antwort wird an dieser Stelle im Wortlaut veröffentlicht.
Sehr geehrter Herr Pfluger,
Das von SR Felix Gutzwiller eingereichte Postulat unterstützt die Idee eines fairen, unabhängigen und transparenten Insolvenzverfahrens für Staaten, die auch von der Aktion Finanzplatz Schweiz, von Alliance Sud, der Erklärung von Bern und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen weltweit mitgetragen wird. Diese Initiative bezweckt das Gegenteil von dem, was Sie behaupten. Statt die Banken zu schonen, sollen sie künftig bei Staatsbankrotten auch ihren Teil der Verantwortung übernehmen und wenn nötig auf einen wesentlichen Teil ihrer Forderungen verzichten. Künftig sollen nicht mehr einseitig die (öffentlichen oder privaten) Gläubiger über das Schicksal konkursiter Staaten entscheiden. Stattdessen soll ein unabhängiges Schiedsgericht ein geordnetes Insolvenzverfahren leiten, das die Rechte der Schuldnerstaaten schützt. Dieses Schiedsgericht, so der Wunsch der zivilgesellschaftlichen Organisationen, könnte die Gläubigerforderungen auch dahingehend überprüfen, ob sie legitim und gerechtfertigt sind. Es ist falsch zu behaupten, Gutzwillers Vorstoss ziele darauf ab, dass die Zentralbanken künftig die Konkursverwaltung übernehmen sollen. Das FSB ist bloss eine von mehreren möglichen Plattformen, wo die Schweiz ihren Einfluss geltend machen könnte, um der Idee eines fairen Insolvenzverfahrens für Staaten zum Durchbruch zu verhelfen.
Mit besten Grüssen,
André Rothenbühler
Aktion Finanzplatz Schweiz
Ich bin offengestanden etwas erstaunt, wie blauäugig man bei der Aktion Finanzplatz Schweiz Institutionen wie dem Financial Stability Board gegenüber steht. Das FSB ist sehr schwach legitimiert und handelt mit einem Mandat der G20, gewissermassen eine völkerrechtliche Blase, wie die Geldkonstruktion, die sie durchsetzen will.
Mit unabhängigen Schiedsgerichten, in die Sie nun Hoffnung legen, sollten Sie von der Aktion Finanzplatz einschlägige Erfahrung haben. Es gibt sie dort seit 1995 und sie entscheiden konsequent globalistisch und gegen die legitimen Interessen der betroffenen Staaten.
Ich halte es für Zeitverschwendung, mit Institutionen ohne Legitimation zu verhandeln. Das FSB mag wohl eine unter mehreren Institutionen sein, die für die Regelung eines Staatsbankrotts in Frage kommt. Aber sie ist ausdrücklich genannt.
Die Chance der Zivilgesellschaft sehe ich eher darin, die demokratischen Rechte auszubauen und in legitimierten Institutionen zu festigen und nicht in informellen Kanälen, die erst noch von den grossen Machtblöcken eingerichtet wurden. Da kann man vielleicht Kontakte pflegen, aber sicher keine Entscheidungen vorbereiten oder sogar treffen.
Ich wünsche mir von der Aktion Finanzplatz Schweiz eine deutliche Haltung in dieser Frage und hoffe, dass wir das Gespräch dazu persönlich weiterführen können, wie ich das schon vorgeschlagen habe.
Sie unterliegen einem Irrtum, wenn Sie annehmen, dass wir in irgendeiner Weise daran denken, das FSB zur Regelung von Staatsbankrotten heranzuziehen. Uns schwebt ein unabhängiges Schiedsgericht vor, das entweder einem bereits bestehenden internationalen Gericht angeschlossen wäre oder als neue Institution zum Beispiel bei der UNO angesiedelt werden könnte. Denkbar wären in einem ersten Schritt auch weniger formalisierte Ad-Hoc-Schiedsgerichte; die Mitglieder dieser Ad-Hoc-Gerichte würden zu gleichen Teilen von den Gläubigern und dem Schuldner ernannt.
Die Aktion Finanzplatz Schweiz engagiert sich darum in der internationalen Kampagne „Defuse the Debt Crisis“ (Entschärft die Schuldenkrise). Der Link ist: http://www.defusethedebtcrisis.org. Dort, wie auch auf unserer eigenen Website, finden Sie weiterführende Informationen zum Thema. Wenn Sie für mehr Schuldengerechtigkeit zwischen dem Norden und dem Süden sind, wenn Sie die (demokratischen) Rechte der Schuldnerstaaten schützen wollen, wenn Sie für eine verantwortungsvollere und nachhaltigere Kreditvergabe eintreten und wenn sie sich dafür einsetzen, dass private Investoren für ihre risikoreichen und spekulativen Geschäfte nicht noch auf Kosten der Allgemeinheit belohnt werden dürfen, dann möchte ich Ihnen ans Herzen legen, diese Kampagne zusammen mit uns und vielen NGOs weltweit zu unterstützen.