Die Probleme des Euro sind zwar gross, und sie beherrschen die Medien. Aber der Schuldenberg über dem Dollar ist wesentlich höher. «Die Märkte» werden schon bald darauf reagieren, davon ist das laboratoire européen d’anticipation politique überzeugt – mit guten Gründen.
Das französische «laboratoire européen d’anticipation politique» LEAP ist vielleicht etwas europhil, aber seine Analysen sind scharf und seine Prognosen treffen zu rund 70 Prozent zu. Sonst würde ich seine Monatsberichte nicht für 200 Euro im Jahr abonnieren. Kostenlose Informationsquellen gibt es ja zuhauf.
Für den November sieht das LEAP über den USA einen «perfekten Sturm» aufziehen, im Vergleich zu dem die Ereignisse des Sommers wie eine «sanfte Brise» wirkten.
Der Orkan setzt sich gemäss LEAP aus den folgenden sechs Stürmen zusammen (frei zitiert nach der Pressemitteilung des LEAP vom 16.9.2011:
• das «Superkomitee», das in den USA die elementar wichtige Sparpolitik vorbereiten soll, wird an den Spannungen zwischen den beiden Parteien scheitern, schreibt Eric Wasson in The Hill.
• Die Haushaltskürzungen, die ohne weitere Entscheidungen umgesetzt werden können, werden in Washington eine politische Krise und Spannungen insbesondere mit dem Militär und den Empfängern von Sozialleistungen verursachen. Wegen der Kürzungen wird der gesamte Staatsapparat nicht mehr richtig funktionieren.
• nach Standard & Poor’s werden auch die anderen Rating-Agenturen die Bonität der USA herabstufen; die Flucht aus den US-Staatsanleihen wird sich verstärken. Ein grosses Problem, schreibt die Financial Post, ist die kurze Laufzeit der US-Staatsanleihen, das sie besonders verwundbar macht für die Schwankungen des Kapitalmarkts. 70 Prozent der US-Staatsanleihen laufen in den nächsten fünf Jahren aus. Im Durchschnitt der OECD-Staaten sind es 49 Prozent.
• Das einzige, zu dem die amerikanische Zentralbank Fed noch in der Lage ist, sind Reden halten und die Aktienkurse oder den Benzinpreis in den USA zu manipulieren. Für die sonderbaren Hintergründe der unerklärlichen Unterschiede zwischen dem Rohölpreis in den USA und in London interessieren sich mittlerweile die Medien. Der Verdacht: Das Fed manipuliert den Benzinpreis nach unten, um Verwerfungen auf den Finanzmärkten zu kaschieren. Mehr dazu in Le Monde.
• im Verlauf der nächsten drei Monate wird sich das öffentliche Defizit enorm erhöhen; denn in der Rezession sinken nun auch die Steuereinnahmen. Konsequenz: Die soeben verabschiedete höhere Schuldengrenze wird lange vor den Wahlen 2012 erreicht und die Regierung erneut in die Handlungsunfähigkeit treiben.
Das werden sich Investoren schon im vierten Quartal 2011 ausrechnen können und Panik wird nicht ausbleiben. Die Gläubiger der USA können sich an den Fingern abzählen, dass die USA dem Beispiel Eurolands folgen und von den Gläubigern verlangen wird, hohe Abschläge am Wert ihrer Staatsanleihen zu akzeptieren.
• das neue Konjunkturprogramm des US-Präsidenten wird die Arbeitslosigkeit nicht signifikant verringern. Zum einen ist es angesichts der Grösse des Problems nicht ausreichend ehrgeizig und kann die Dynamik des Landes nicht wecken. Und es wird von den Republikaner im Kongress zerpflückt werden, die von ihm nur die vorgeschlagenen Steuersenkungen übernehmen werden.
Das LEAP ist seit einiger Zeit der festen Überzeugung, dass die Probleme der Eurozone von der Wall Street und der Londoner City bewusst verstärkt (Rating-Agenturen) und den angelsächsischen Medien gepusht werden, um von den weit grösseren Problemen des Dollars und des Pfund Sterling abzulenken. Diese Ablenkung kann nicht dauerhaft funktionieren – was nicht heisst, dass die Eurozone reale, faktisch unlösbare Probleme hätte. Man darf nicht vergessen: Alle Staaten sind ausnahmslos hoch verschuldet, viele Banken bewegen sich am Rand des Abgrunds, Stresstest hin oder her. Im Stresstest der europäischen Banken, dies nur nebenbei, wurde das Szenario eines griechischen Schuldenschnitts (der nun Realität wird) aus politischen Gründen bewusst ausgeklammert. Wir bewegen uns also in einem total verminten Gelände voller falscher Hinweistafeln und unwissenden Politikern.
Die heftige Krise kommt zwar nach der Wahl, aber entscheiden müssen wir uns jetzt!
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