Wie wir «ins System» gebracht werden

Der Weg zur totalitären Weltwährung ist so kurz, dass wir fast schon da sind. Wir bezahlen mit der Freiheit.

Das Ideal des Grossen Bruders besteht darin, alles über uns zu wissen und uns entsprechend steuern zu können. Dank unseren Mobiltelefonen ist bekannt, wo wir uns befinden, dank Facebook, was wir denken und fühlen. Und durch die Verknüpfung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs mit unseren biometrischen Daten wird unser wirtschaftliches Handeln vollkommen transparent und kontrollierbar.

Wie erschreckend weit diese Bestrebungen gediehen sind, zeigt der preisgekrönte deutsche Wirtschaftsjournalist Norbert Häring in seinem neusten Buch «Schönes neues Geld – PayPal, WeChat, Amazon Go. Uns droht eine totalitäre Weltwährung.»
Die Bargeldabschaffung ist das Kernthema der Arbeit von Häring. Er hat dazu nicht nur ausführlich publiziert, sondern ist für das Recht, die TV-Gebühren in bar zu zahlen, auch (erfolglos) vor Gericht gegangen.

Die Bargeldabschaffung wird seit rund zehn Jahren intensiv betrieben, vor allem von der einflussreichen «Group of Thirty», einem informellen Zusammenschluss von globalen (Zentral-)Bankern und Wissenschaftlern. Die Bargeldabschaffung ist nötig, um mit Negativzinsen oder einer Vermögensabgabe, wie vom Int. Währungsfonds vorgeschlagen, die globale Verschuldung unter Kontrolle zu bringen. Das geht nur, wenn die Bürger keine Möglichkeit haben, ihr Guthaben in Form von Bargeld ans Trockene zu bringen.

Wie Häring in seinem neuen Buch mit einer Fülle von besorgniserregenden Fakten zeigt, strebt die Bargeldabschaffung auf ein noch grösseres Ziel: Wir sollen «ins System» gebracht werden, wie sich PayPal-Chef Dan Schulman ausdrückt. Zahlungen sollen nur noch elektronisch und in Verknüpfung mit unseren biometrischen Daten ausgeführt werden können. Welche Konsequenzen das hat, zeigen die Schwellenländer, in denen die federführenden Organisationen Visa, Mastercard, Vodafone, USAid, die Bill and Melinda Gates-Foundation und die Better than Cash Alliance ihren grossen Feldversuch durchführen.
Essensgutscheine und Sozialgeld gibt es in Indien nur noch, wer seine Fingerabdrücke oder einen Iris-Scan hinterlassen hat. Selbstverständlich wurde die Datenbank mit den biometrischen Daten bereits gehackt, gestohlene Identitäten sind leicht zu kaufen. Im Gegensatz zu geklautem Geld, das man wieder erwerben kann, ist eine gestohlene Identität für immer weg. Richard David Prechts Bestseller-Titel «Wer bin ich – und wenn ja, wieviele?» bekommt unter diesen Voraussetzungen eine ganz andere Bedeutung.

Was unter dem Begriff «Financial Inclusion» als Mittel gegen Armut propagiert wird, dürfte zudem sehr teuer werden, wie das Beispiel Kenia zeigt. Dort hat Safaricom, eine Tochter der britischen Vodafone, das Handy-Bezahlsystem M-Pesa hochgezogen. Zentralbank, ebenfalls Mitglied der «Better than Cash-Alliance» verzichtete auf eine Regulierung als Finanzinstitut und verbot weitere Systeme, sodass Safaricom ein Quasi-Monopol erreichte. Die Preise für eine Transaktion liegen rund zehnmal höher als im benachbarten Tansania, wo derselbe Anbieter ein ähnliches System betreibt.

Die Bargeldabschaffung ist auch ein Einfallstor für die Privatisierung der Identität. So hat Mastercard seine Partnerbanken in der EU angewiesen, bis spätestens Februar 2019, den auf biometrischen Daten basierenden «Mastercard Identity Check» zu implementieren, wenn sie weiterhin Mastercard-Karten herausgeben oder Zahlungen abwickeln wollen. Einen anderen Weg geht Amazon, das für seine kassenlosen Amazon Go-Läden Überwachungskameras mit Gesichtserkennung installiert hat und damit seine Fotodatenbank «Rekognition» füttert. Diese steht nicht nur der Polizei, sondern auch privaten Nutzern gegen eine einmalige Gebühr von 400 Dollar und geringen Abokosten zur Verfügung. Amazon scheint «mit Kampfpreisen den gesamten Markt an sich ziehen zu wollen», schreibt Häring, «damit später die Amazon-Cloud die grösste Fotodatenbank der Welt und konkurrenzlos umfassend ist.»

Härings Buch ist ausgezeichnet recherchiert und flüssig geschrieben, aber ein Albtraum. Alles ist bereit, ihn wahr werden zu lassen, wenn wir nicht unverzüglich aufwachen. «Norbert Häring wirft einen mächtigen Stein ins Wasser, mit einem Buch, das jeder lesen sollte», wird der deutsche Wirtschaftsweise Hans-Werner Sinn im Klappentext zitiert. Da kann man nur ein dickes Ausrufezeichen dahintersetzen.


Norbert Häring: Schönes neues Geld – PayPal, WeChat, Amazon Go. Uns droht eine totalitäre Weltwährung. Campus, 2018. 256 S., EUR 19.95.

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