Schmutzige Bomben für schmutzige Kriege

Minimale militärische Wirkung, maximaler Eskalationsdruck

Derzeit wird mit «schmutzigen Bomben» sehr viel Angst verbreitet, die wie alle Ängste, die in den letzten knapp drei Jahren bewirtschaftet wurden, auch ein konkretes Ziel verfolgt.

Um in dieser Situation nüchtern zu bleiben, kann man sich entweder von den Medien verabschieden – was durchaus der Psychohygiene dient –oder die Sache genauer betrachten. Wie bei allen Ängst hilft das genaue Hinschauen. Man kann damit sogar Drachen besiegen, sagen die alten Mythen.

Was sind schmutzige Bomben?

Schmutzige Bomben sind keine kleinen Atombömbchen in do-it-yourself-Bauweise, die zu einer nuklearen Explosion führen. Es sind vielmehr herkömmliche Bomben, die mit einer Explosion möglichst viel radioaktives Material an die Umgebung abgeben sollen.

Ihr Bau erfordert weder Atomphysiker noch besondere Geräte, sondern ganz normale Bombenbauer. Das Problem bei der Herstellung ist das radioaktive Material. Je gefährlicher es ist, desto mehr setzen sich die Terroristen bei der Herstellung und Platzierung selber in Gefahr. Deshalb wird radioaktives Material verwendet, wie es in der Medizin oder der Forschung anfällt.

Die Zahl der Opfer und das Ausmass der Schäden durch eine schmutzige Bombe hängen von verschiedenen Faktoren ab:
• Menge und Art des verwendeten konventionellen Sprengstoffs
• Menge und Art des radioaktiven Materials
• Wetterbedingungen – insbesondere Wind – zum Zeitpunkt der Explosion.

«Die meisten schmutzigen Bomben setzen nicht genug Strahlung frei, um Tod oder auch nur schwere Krankheiten zu verursachen», sagt Scott Roecker, Vizedirektor für das Programm zur Sicherung von Kernmaterial bei der «Nuclear Threat Initiative» in Washington im Gespräch mit Associated Press.

Schmutzige Bomben sind nicht für die Verwendung auf dem Schlachtfeld gedacht, sondern würden eher in städtischen Gebieten eingesetzt, so Roecker. Sie hätten vor allem psychologische Wirkung, weshalb sie oft als «weapons of mass disruption», als «Massenstörungswaffen» bezeichnet würden.

Die aktuell diskutierten schmutzigen Bomben werden allerdings nicht von gewöhnlichen Terroristen gebaut, sondern – je nach Parteiansicht – von ukrainischen, bzw. russischen Spezialeinheiten.

Ihnen stehen ganz andere Mengen und Qualitäten an radioaktivem Material zur Verfügung. Denkbar ist eine Bombe vom Format eines Sattelschleppers, die an geeigneter Stelle gezündet werden könnte.

Russland «weiss» angeblich, wo und wie die Ukraine eine schmutzige Bombe baut. Selbst wenn Russland den betreffenden Ort kennt, kann es ihn nicht mit Raketen angreifen, da damit das radioaktive Material freigesetzt und dem Vorwurf, es setze schmutzige Waffen ein, Tür und Tor geöffnet würde.

Wird eine schmutzige Bombe zum Einsatz kommen? Vielleicht. Da sie militärisch unwirksam sind, befürchtet Russland, dass eine ukrainische Aktion unter falscher Flagge vor allem der Eskalation dienen würde. Das ist aus russischer Sicht – warum auch immer – unerwünscht.

Deshalb haben am vergangenen Sonntag (!) der russische Verteidigungsminister und sein Generalstabschef ihre Amtskollegen in den vier Nato-Staaten USA, Grossbritannien, Frankreich und Türkei angerufen.

Ein Einsatz in der Nähe der «Kontaktlinie» – der Front – ist unwahrscheinlich. Die Gefahr für die Ukraine wäre zu gross, dass das Explosionsgebiet von russischen Kräften kontrolliert und dann einer genaueren Untersuchung offenstehen würde.

Der Einsatz einer schmutzigen Bombe durch Russland, wie der Westen behauptet, ist ebenfalls unwahrscheinlich. Ein strategischer Nutzen einer solchen Aktion ist nicht erkennbar.

Es bleibt der Einsatz einer ukrainischen schmutzigen Bombe auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet. Denkbar. Vielleicht sogar die Absicht der ukrainischen Führung.

Aktionen unter falscher Flagge haben schon manchen Krieg ausgelöst, den spanisch-amerikanischen Krieg von 1898, den Zweiten Weltkrieg («Es wird zurückgeschossen» und die Eskalation des Vietnamkriegs durch den Zwischenfall im Golf von Tonkin 1964.

Eine schmutzige Bombe mit vornehmlich psychologischer Wirkung wäre tatsächlich ein passendes Mittel. Ihre Zerstörungskraft wird hochgespielt und dient vornehmlich als Begründung für neue rote Linien, deren Überschreitung eine neue Eskalationsstufe politisch und medial begründet. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass die Ukraine ohne grünes Licht der USA einen solchen Schritt wagt.

Die USA scheinen sich mit der Verlegung ihrer 101. Airborne-Division an die rumänisch-ukrainische Grenze in gewisser Hinsicht auf eine Eskalation vorzubereiten. Aber die Kampfstärke dieser Einheit ist zu schwach, um eine entscheidende Rolle zu spielen.

Es ist durchaus möglich, dass die 101. Airborne-Division eher den Westen beeindrucken als Russland einschüchtern soll und ihr tatsächlicher Einsatz gar nicht vorgesehen ist. Was den konkreten Einsatz von US-Kräften in der Ukraine betrifft, befinden wir uns nach wie vor in der Phase des Säbelrasselns.

Zusammenfassend kann man sagen, dass eine schmutzige Bombe ein psychologisches Kampfmittel bleibt, sowohl bei einem realen Einsatz als auch bei einer Drohung damit. Ihr realer Einsatz würde zweifellos zu einer Eskalation führen, die nicht mehr ohne weiteres zu kontrollieren ist.

Hoffen wir, das inmitten dieses verrückten Krieges noch Restmengen von Vernunft vorhanden sind und auch tatsächlich eingesetzt werden. Die Hoffnung ist angesichts des bisherigen Verlaufs dieses hybriden Krieges zwar klein. Aber, wie Hölderin sagte: «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.»

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