War Scholz in China auf Friedensmission?

China, auf das der Westen angewiesen ist, ist der einzige potente Vermittler im Krieg zwischen der Nato und Russland

Scholz’ Besuch in China war mit Sicherheit ein Ereignis von grösster Wichtigkeit. China und Deutschland sind die wichtigsten Exportnationen der Welt. Was sie beschliessen, betrifft automatisch alle andern. Zudem hat seit drei Jahren kein Führer eines G7-Staates China besucht.

Dass beim Besuch von Scholz einiges auf dem Spiel stand, zeigt die Wortwahl von Guntram Wolff, Direktor des «Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik» (DGAP), die deutsche Partnerorganisation des «Council on Foreign Relations», einem hochelitären Club, wo seit mehr als hundert Jahren die Grundzüge der expansiven Aussenpolitik des Grosskapitals formuliert wird.

Guntram Wolff erteilte Scholz vor seiner Reise nach China regelrecht Anweisungen – in einem Artikel in der Londoner Financial Times. Wolff schrieb u.a.:

«Erstens muss [Scholz] eine klare Haltung zur Bedeutung von Sanktionen gegen Russland einnehmen. Jegliche Waffenhilfe oder materielle Unterstützung für Russland untergräbt die europäische Sicherheitsordnung, die wichtiger ist als wirtschaftliche Vorteile aus dem Handel. Pekings Unterstützung für Moskaus Krieg gegen die Ukraine war bisher sehr zurückhaltend. … Bei seinem Treffen mit Xi muss sich Scholz darüber im Klaren sein, dass jede Änderung der Position zu einer Eskalation der geopolitischen Spannungen führen würde. …

Zweitens: Massive staatliche Subventionen aus Peking [verzerren] die Wettbewerbsbedingungen. China macht den Technologietransfer zunehmend zur Bedingung für den Marktzugang und nutzt den Handel als politisches Zwangsmittel. … [Scholz] sollte sagen, dass Deutschland weiterhin die Entwicklung von Instrumenten wie dem EU-Mechanismus gegen wirtschaftliche Nötigung und dem Prüfsystem für russische und belarussische Investitionen unterstützen wird.

Die dritte Botschaft sollte sich an diejenigen richten, die mit Scholz nach Peking reisen. Deutsche Unternehmen können weiterhin mit China Handel treiben, aber kritische Abhängigkeiten müssen abgebaut werden. Das kann im Falle einer geopolitischen Konfrontation bedeuten, auf Gewinne zu verzichten.»

Im Klartext: Scholz soll China auf die westliche Linie bringen, selbst wenn das weitere wirtschaftliche Nachteile für Deutschland und seine Unternehmen bedeutet.

Etwas konzilianter formuliert und anders begründet, finden sich dieselben Forderungen in einem «Policy Brief» vom 3. November auf der eigenen Website der DGAP. Dort heisst es u.a., dass China wegen getrübter Wachstumsaussichten und «verzerrter» Statistiken ein zunehmend riskanter Wirtschaftspartner mit «politischen Kosten» sei.

Worum ging es bei Scholz’ Besuch in Peking tatsächlich?

Gemäss Pepe Escobar, einem der kompetentesten geopolitischen Journalisten ausserhalb des Mainstreams reiste Scholz nach China, um ein Friedensabkommen mit Russland vorzubereiten. Escobar beruft sich allerdings auf nicht näher bezeichnete Quellen. Er schreibt:

«Solide Quellen aus der deutschen Wirtschaft widersprechen der ‹Botschaft› der ‹Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik› völlig.

Diesen Quellen zufolge ist die Scholz-Karawane nach Peking gereist, um im Wesentlichen die Schritte für ein Friedensabkommen mit Russland vorzubereiten, mit China als privilegiertem Boten.

Das ist geopolitisch und geoökonomisch von grösstmöglicher Brisanz. Wie ich in einer meiner früheren Kolumnen dargelegt habe, unterhielten Berlin und Moskau über Geschäftspartner im Hintergrund einen geheimen Kommunikationskanal, bis zu dem Zeitpunkt, als die üblichen Verdächtigen in ihrer Verzweiflung beschlossen, Nord Stream zu sprengen. …

Doch damit nicht genug: Die Scholz-Karawane versucht möglicherweise, einen langen und verschlungenen Prozess in Gang zu setzen, um die USA schliesslich durch China als wichtigsten Verbündeten zu ersetzen. Man sollte nie vergessen, dass Deutschland (das Ruhrgebiet) der wichtigste BRI-Handels-/Verbindungspunkt der neuen Seidenstrasse (Belt and Road Initiative, BRI) in der EU ist.
Einer der Quellen zufolge ‹können sich Deutschland, China und Russland gemeinsam verbünden und die USA aus Europa vertreiben, wenn diese Bemühungen erfolgreich sind›.

Eine andere Quelle setzte dem Ganzen noch die Krone auf: ‹Olaf Scholz wird auf dieser Reise von deutschen Industriellen begleitet, die Deutschland tatsächlich kontrollieren und nicht tatenlos zusehen werden, wie sie zerstört werden.›

Moskau weiss sehr wohl, was das imperiale Ziel ist, wenn es darum geht, die EU auf die Rolle eines total beherrschten – und deindustrialisierten – Vasallen ohne jegliche Souveränität zu reduzieren. Die Kanäle im Hintergrund liegen schliesslich nicht in Fetzen auf dem Grund der Ostsee.

Ausserdem hat China nicht angedeutet, dass sein massiver Handel mit Deutschland und der EU vor dem Aus steht. Scholz selbst betonte einen Tag vor dem Eintreffen seiner Karawane in Peking gegenüber chinesischen Medien, dass Deutschland nicht die Absicht habe, sich von China abzukoppeln, und dass es nichts gebe, was ‹die Forderungen einiger, China zu isolieren›, rechtfertige.

Gleichzeitig sind sich Xi Jinping und das neue Politbüro der immer wieder bekräftigten Position des Kremls sehr wohl bewusst: Wir sind immer offen für Verhandlungen, solange Washington sich endlich entschliesst, über das Ende der unbegrenzten, von Russophobie durchsetzten NATO-Erweiterung zu sprechen.

Zu verhandeln bedeutet also, dass das Imperium das Dokument unterschreibt, das es am 1. Dezember 2021 von Moskau erhalten hat und in dem es um die ‹Unteilbarkeit der Sicherheit› geht. Ansonsten gibt es nichts zu verhandeln.
Und wenn der Pentagon-Lobbyist Lloyd ‹Raytheon› Austin den Ukrainern inoffiziell rät, auf Cherson vorzurücken, wird noch deutlicher, dass es nichts zu verhandeln gibt.

Könnte das alles also der Grundstein für den geopolitischen/geoökonomischen Korridor Berlin-Moskau-Peking durch Eurasien sein? Das würde bedeuten: Bye Bye Empire.»

Pepe Escobars nicht näher bezeichneten Quellen sehen die Lage vermutlich etwas zu positiv oder er zitiert sie in zu optimistischem Licht. Dass CEOs von deutschen Konzernen hinter dem Rücken der Nato eine neue Achse aufbauen, scheint doch etwas verwegen.

Aber: Wenn Russland und die USA nicht mehr miteinander reden können und dies nicht einmal mehr wollen, braucht es stärkere Kräfte, sie an einen Tisch zu bringen. China und Deutschland als wichtigste Industrienationen der Welt haben das Potenzial dazu. Sie haben finanzpolitisch und medienmässig zwar nicht die Potenz der USA. Aber für die Versorgung mit Gütern sind sie zusammen für den Westen absolut unersetzlich.

Wenn Deutschland die Deindustrialisierung verhindern will, braucht es einen starken Partner ausserhalb des Westens. Wenn China die Eskalation stoppen will, die früher oder später zu einem Krieg um Taiwan führen wird, braucht es einen starken Partner im Westen.

Ihre Zusammenarbeit könnte eine neue friedenspolitische Seidenstrasse sein, die Ost und West verbindet, anstatt sie in einen Krieg mit unabsehbaren Folgen zu führen.



Escobars Darstellung überzeugt nicht alle.

Hier eine Einschätzung von Tom Luongo, Herausgeber eines viel gelesenen Investment-Newsletters:

Pepe ist jemand, der seinen Zugang zu den Mächtigen übertrieben darstellt, um sich einen Anschein von Legitimität zu geben, die er eigentlich nicht hat.

Dieser jüngste Artikel von Pepe ist ein klassisches Beispiel für seine besondere Art von „Schizo-Posting“, in dem er nichts von Interesse sagt, sondern ihn mit einer Menge Anspielungen ausschmückt und sich auf seinen „Ruf“ beruft, um ihm einen Anschein von Seriosität zu verleihen, den er nicht verdient.

[Aber]: Nur weil ich oder Escobar oder irgendjemand anderes etwas sagt, bedeutet das nicht, dass es besonderes Gewicht hat. In gewisser Weise ist das der Grund, warum ich nicht mehr in Echtzeit blogge.

Glaube ich, dass die deutschen Industriellen wütend auf die Regierung Scholz/Habeck sind? Ja. Glaube ich, dass sie nicht wussten, was die ganze Zeit unter Merkel passiert ist? Nein, natürlich nicht.
Sie konnten die Zeichen an der Wand besser erkennen als jeder von uns, einschliesslich Escobar. Die Vorstellung, dass sie erst jetzt, zu diesem späten Zeitpunkt, ihre Macht wieder geltend machen, ist also äusserst lächerlich.

Ganzer Text von Luongo (nur mit Patreon-Abo)

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7 Antworten auf War Scholz in China auf Friedensmission?

  1. Ihre und Pepe Escobars Analysen setzen voraus, dass Deutschland ein souveräner Staat ist. Dies kann man mit Fug und Recht bezweifeln. Sollten es wie vor hundert Jahren zu einem neuen Vertrag von Rapallo kommen, dann wird der Hegemon dafür sorgen , dass dem Bundeskanzler das gleiche Schicksal ereilt wie dem damaligen Reichsaussenminister Rathenow.

  2. Viktor sagt:

    @A.Zindel, Zit.: „dass dem Bundeskanzler das gleiche Schicksal ereilt wie dem damaligen Reichsaussenminister Rathenow.“
    Das wird nicht unbedingt nötig sein, da es ja auch die Cum-Ex-Geschichten gibt, mit denen man Scholz absägen kann…

  3. Michael sagt:

    Warum werden überall allein die USA als Treiber der NATO-Osterweiterung hingestellt? Selbstverständlich sind die USA diejenige Macht, welche in der NATO das Sagen hat. Dennoch zwingend jeder einzelne Mitgliedsstaat der Aufnahme eines neuen Mitglieds zustimmen, sonst läuft nichts. Es gibt hier also sehr viel mehr Verantwortliche für die aktuelle Lage als bloss die USA. Und ganz sicher sind einige NATO-Mitglieder aus nachvollziehbaren Gründen sehr viel mehr an der Osterweiterung interessiert als die USA selber.

    • Viktor sagt:

      Dein Einwand ist durchaus richtig, aber Du solltest dran denken, dass die USA die anderen Mitglieder der NATO unter Druck setzen kann, ja sogar die Regierungen teils in der Hand hat (aufgrund von Geheimdiensterkentnissen über den Dreck an deren Stecken, z. B.).

      • Michael sagt:

        Das ist sicher so (ich hatte es ja schon geschrieben), aber meines Wissens wurde Dreck hin oder her noch kein Staat in die NATO gezwungen. Vielen ist es wohl eher gerade recht, dass auf „die USA“ geschossen wird anstatt auf die vielen konkret Verantwortlichen vor Ort. Insbesondere in den Staaten, welche sich näher an den russischen Grenzen befinden als andere und welche gerne noch beliebig viele weitere NATO-Mitglieder zwischen sich und Russland sähen. Oder welche gar seit langer Zeit noch offene Rechnungen mit Russland haben.

        • Viktor sagt:

          Zit.: „ber meines Wissens wurde Dreck hin oder her noch kein Staat in die NATO gezwungen“
          Das ist sicher richtig, aber man weiß nicht, wie die dortigen Regierungen zustande kamen, ob mit direkten Wahlmanipulationen oder durch indirekte, also propagandistische Beeibflussungen, und inwieweit deren(wie auch unsere) Regierungsmitglieder erpresst oder bedroht wurden.
          Jedenfalls gab es schon kurz nach Ende der SU von Seiten der USA Pläne für die NATO-erweiterungen.
          Der 2. Punkt ist, dass die NATO auch nicht gezwungen gewesen wäre, Aufnahmewünsche zu erfüllen.

        • Viktor sagt:

          HInzu kommt, dass alle NATO-Staaten nur eine begrenzte Souveränität zu haben scheinen. Zumindest Deutschland ist ein besetztes Land, Regierungschefs, die nicht spuren, haben ihren Posten nicht lang (siehe Willy Brandt)

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