Die kriegerische Spur des Geldes

Die vergangenen Monate zeigen: Die Ukraine kämpft militärisch, der Westen finanziell ums Überleben

Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen. Das liegt in der Natur des Scheins. Deshalb ist es oft schwierig, die wahren Ursachen und die unter der Oberfläche verborgenen Kräfte zu erkennen. Aber nur wenn man sie kennt, kann man mit einiger Sicherheit in die Zukunft blicken.

Vor kurzem bin ich auf einen sehr interessanten, um nicht zu sagen brillanten Podcast von Alex Krainer gestossen. Der gebürtige Kroate Krainer hat in den USA Geschichte studiert, wurde dann Hedgefonds-Manager und veröffentlicht heute einen Trendbericht für Investoren. Er hat die bemerkenswerte Fähigkeit, die vielen geopolitischen Punkte zu einem Bild zusammenzufügen, das wirklich Sinn macht. Muss er in seinem Beruf ja auch können.

Der besagte Podcast dauert etwa eine halbe Stunde und beschäftigt sich mit dem Niedergang Grossbritanniens. Dazu liefert er eine hochinteressante Chronologie der Ereignisse der letzten zwei Monate. Ich empfehle allen, die des Englischen halbwegs mächtig sind, sich den Podcast anzuhören. Ich fasse hier nur die wichtigsten Punkte zusammen.

Zunächst muss man festhalten, dass Grossbritannien, wie andere untergegangene Imperien auch, sehr viel in sein Prestige und seine militärische Präsenz in der Welt investiert hat, während die eigene Wirtschaft und die eigene Bevölkerung jahrzehntelang vernachlässigt wurden.

Grossbritannien ist auch das Land, das neben den USA den Krieg in der Ukraine am stärksten gefördert hat. Berühmt ist der Besuch von Boris Johnson in Kiew im Frühjahr 2022, mit dem er einen greifbaren Frieden verhindert hat. Es gibt viele britische Berater im Land und Waffen a gogo.

Das alles kostet viel Geld. Grossbritannien hat der Ukraine Militärhilfe in Höhe von rund 10 Milliarden Dollar geleistet, dazu kommen Finanzhilfen in Höhe von weiteren 6,5 Milliarden, ausserdem hat Grossbritannien Garantien für Kredite der Weltbank an die Ukraine übernommen. Und viele britische Investmentgesellschaften und Banken haben ukrainische Staatsanleihen gekauft.

Das wirtschaftliche und finanzielle Überleben Grossbritanniens ist ist vom Erfolg der Ukraine auf dem Schlachtfeld abhängig. Nachdem ein Sieg kaum noch möglich scheint, muss der Tag der Wahrheit so weit als möglich hinausgeschoben werden.

2024 sollte kein gutes Jahr für die Ukraine werden. Das war den meisten EU-Bürgern schon Anfang des Jahres klar. Laut einer repräsentativen Umfrage des European Council on Foreign Relations glaubten nur 10 Prozent an einen Sieg der Ukraine.

Die wirtschaftlichen Aussichten der Ukraine, die schon zu Beginn des Krieges ungünstig waren, verschlechterten sich rapide. Das Haushaltsdefizit der Ukraine für 2024 beträgt 44 Milliarden Dollar.

31,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen in den Krieg, 15 Prozent in den Schuldendienst. Fast Hälfte der ukrainischen Wirtschaftsleistung – ein Mehrfaches der Steuereinnahmen – versinkt in einem schwarzen Loch, in Zinszahlungen, Krieg und Zerstörung.

Am Sonntag, dem 4. Mai, beginnen die privaten Gläubiger – BlackRock, PIMCO und andere – den Druck auf die Ukraine zu erhöhen. Die Gruppe hatte der Ukraine im Juli 2022 eine Gnadenfrist für die Rückzahlung von Anleihen in Höhe von 20 Milliarden Dollar (von insgesamt 160 Milliarden) eingeräumt,, die am 1. August dieses Jahres auslief.

Am 30. Juni titelt der Economist: «Die Ukraine hat einen Monat, um den Bankrott abzuwenden». Eine scharfe Warnung.

Am 12. Juli beginnen in London einwöchige Gespräche mit einem Komitee privater Gläubiger über eine Umschuldung. Es geht um 25 Prozent der ausstehenden Summe. Berater der Ukraine ist Rothschild & Co.

Am 17. Juli besucht Selenski London und nimmt an einem europäischen Gipfeltreffen teil. Der Gipfel beschliesst, die russische Tankerflotte ins Visier zu nehmen, mit der die Sanktionen umgangen werden. Selenski trifft König Charles III und offenbar auch Vertreter von BlackRock, JPMorgan, Arcelor Mittal, Bridgewater und Blackstone, die alle finanzielle Interessen in der Ukraine haben.

Am 19. Juli erhält Selenski die seltene Ehre, an einer Sitzung des britischen Kabinetts teilzunehmen und vor der Regierung zu sprechen. Premierminister Keir Starmer spricht von einer «sehr, sehr wichtigen Sitzung». Am selben Tag beschliesst der Gläubigerausschuss eine Umstrukturierung der ukrainischen Schulden.

Am 22. Juli verkündet die Londoner Börse die «Lösung»: Erlass von 37 Prozent der fälligen Schulden. Die Ukraine hatte 60 Prozent gefordert, die Gläubiger boten lediglich 25 Prozent. Die Umstrukturierung «so bald als praktikabel» umgesetzt werden. Die Ukraine muss die übrigen Gläubiger mit einem Anteil von 75 Prozent der ausstehenden Schulden an Bord holen.

Nur zwei Tage später, am 24. Juli, stuft die Rating-Agentur Fitch die Ukraine von CC auf C zurück. Das bedeutet ein extrem hohes Kreditrisiko und ist Ländern vorbehalten, die kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen. Der nächste Prüftermin für die Ukraine wäre eigentlich am 6. Dezember 2024 gewesen. Alex Krainer sagt dazu:

„Entweder hat sich die Finanzlage des Landes plötzlich und erheblich verschlechtert, oder jemand hat beschlossen, die Ukraine und mit ihr Grossbritannien und die EU zu versenken.“
Alarmstufe rot.

Fünf Tage später, am 29. Juli, ersticht ein Mann mit Migrationshintergrund drei Mädchen in Southport. Im ganzen Land gehen die Menschen auf die Strasse und protestieren. Die Medien berichten ausführlich darüber. Die Protestierenden werden als Rechtsextremisten bezeichnet, es gibt zahlreiche Verhaftungen und drastische Strafen.

Für Posts in den sozialen Medien werden Gefängnisstrafen von mehr als einem Jahr verhängt. Die Botschaft ist klar: Wer sich auflehnt, wird hart bestraft. Doch es gibt auch Stimmen, die sagen, dass es im Gegensatz zu den Bildern in den Massenmedien an den meisten Orten in Grossbritannien relativ ruhig war.

Krainer hält einen Zusammenhang zwischen der überaus harten Hand der Regierung mit imminenten finanziellen Schwierigkeiten grösseren Ausmasses für wahrscheinlich. Sie hätte ja auch beruhigen können anstatt die Polizei mit Schlagstöcken auf die Strasse zu schicken.

Am 31. Juli unterzeichnet Selenski ein Gesetz, das der Ukraine erlaubt, die Zahlungen an Auslandsschulden für zwei Monate oder länger auszusetzen.

Am 1. August endet die Gnadenfrist für einen Teil der ukrainischen Anleihen. Gleichentags tritt Selenskis Gesetz über den Zahlungsaufschub in Kraft.

Am 6. August startet Selenski den Überraschungsangriff auf Kursk. Viele geopolitische Experten wie John Mearsheimer sind überzeugt, dass der Angriff ein Fehler ist. Die Russen rechneten offenbar selber nicht mit einem solchen strategischen Missgriff und hatten kaum Truppen vor Ort.

Die westlichen Medien feierten den Überraschungsangriff als reine ukrainische Initiative, doch langsam sickert die westliche, vor allem die britische Beteiligung durch. Die Sunday Times schreibt:

„Von der Welt unbemerkt haben britische Rüstungsgüter, darunter Drohnen, eine zentrale Rolle bei der neuen Offensive der Ukraine gespielt, und britisches Personal hat das ukrainische Militär eng beraten – in einem Ausmass, wie es kein anderes Land getan hat.“

Der Plan war offenbar schon ein Jahr alt. Warum wurde er gerade jetzt umgesetzt?

Die Europäische Kommission lieferte gleichentags eine indirekte Antwort, indem sie eine Finanzhilfe von 4,2 Mrd. Euro freigab. Die Ukraine musste für das bereits früher bewilligte Paket neun Bedingungen erfüllen, darunter ein ordentliches Management der Finanzen und der staatlichen Unternehmen, ein positives Umfeld für Unternehmen sowie Minenräumung – alles offenbar plötzlich realisiert.

Am 14. August reist der deutsche Finanzminister Lindner nach Kiew, angeblich um der Ukraine weitere Finanzhilfen zuzusichern. Dafür ist ein Besuch in Kiew nicht nötig, viel eher, um Tacheles zu sprechen. Dass der Finanzminister und nicht der Verteidigungsminister in die Ukraine reist, sagt schon viel.

Der wahre Grund zeigte sich zwei Tage später, als die deutsche Regierung bekannt gab, aus Budgetgründen die Zahlungen an die Ukraine deutlich zu reduzieren.

Dies alles illustriert die dominierende finanzielle Bedeutung des Ukraine-Kriegs für den Westen. Vor allem Grossbritannien und die EU sind neben privaten Geldgebern akut gefährdet.

Die Bank of England, die hier im Zentrum steht, hat an einem Seminar vom 22. Juli in verklausulierten Worten vorsorglich erklärt, sie würde auch weniger werthaltige Papier in ihr Portfolio aufnehmen, um nicht in Bilanzschwierigkeiten zu geraten.

Das sind schlechte Nachrichten für die britischen Steuerzahler. Denn sie müssen nach britischem Recht Verluste ihrer Zentralbank decken. Die Financial Times berichtete vor einem Jahr, die Bank of England brauche bis 2033 150 Mrd. Pfund.

Das sind pro Einwohner, vom Säugling bis zum Grossvater 2500 Franken, und das in einem Land, das für seine armen Bewohner Wärmestuben einrichten muss, weil sie sich die Heizenergie nicht mehr leisten können. Das ist definitiv nicht mehr lustig und man begreift Keir Starmer, dass er vorsorglich die Zügel strafft.

Vier Wochen nach Beginn der Kursk-Offensive manifestieren sich ihre strategischen Nachteile: Die Russen beschleunigen den Vormarsch im Donbass. Sogar ukrainische Medien berichten von katastrophalen Verhältnissen. Die Russen stehen vor der strategisch wichtigen Stadt Prokrowsk, dem ukrainischen Logistik-Zentrum der Ostfront.

Westlich von Prokrowsk liegen 200 km kaum besiedeltes, unbefestigtes Flachland bis zum Fluss Dnjepr. Wenn Prokrowsk fällt, kann es schnell gehen. Dann kommen auch die USA in die Bredouille.

Eine Niederlage der Ukraine vor den Wahlen wäre für die Regierung von Joe Biden und seine designierte Nachfolgerin ein Super-Gau. Wird deshalb der Krieg um jeden Preis eskaliert?

Oder werden die Affenpocken als Ablenkung lanciert, von der WHO am 14. August als globale Notlage erklärt? Möglich.

Sicher ist, dass die bevorstehende Niederlage der Ukraine auch den Westen in grösste Schwierigkeiten bringt. Bei der militärischen Unterstützung der Ukraine geht es ja nicht um die Verteidigung von Demokratie und Freiheit, nicht einmal so sehr um Russland, das angeblich ganz Europa erobern will. Es geht um das finanzielle Überleben einiger wichtiger westlicher Länder.


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