Der Bundesrat will die Neutralität weiter flexibilisieren können

In seiner Botschaft zur Neutralitäts-Initiative lehnt er die Festschreibung der Neutralität in der Verfassung ab.

In seiner heute verabschiedeten Botschaft bekräftigt der Bundesrat seine Ablehnung der Neutralitätsinitiative. Sie bedeute eine «Abkehr von der bewährten Flexibilität» und würde die «sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit» stark einschränken, schreibt er. Gemeint, aber nicht genannt, sind dabei die NATO und die EU.

Die Neutralität ist so fundamental für das Selbstverständnis der Eidgenossenschaft, dass sie weder in der Verfassung noch in Gesetzen definiert ist. Die Nichteinmischung in fremde Händel gehört seit Bruder Klaus so sehr zu Wesen und Seele der Schweiz, dass man es offenbar nie für nötig befunden hat, sie näher zu umschreiben. Die Bundesverfassung sagt lediglich, dass Bundesrat und Bundesversammlung sie zu wahren hätten. Und nicht zu flexibilisieren, möchte man hier ergänzen.

Völkerrechtlich ist die Neutralität in zwei Haager Abkommen von 1907 kodifiziert, die sich aber auf militärische Aspekte beschränken. Der Wirtschaftskrieg, der heute eine wesentliche Rolle spielt oder die Beteiligung an Militärbündnissen kommen in den Abkommen gar nicht vor.

Diesen Spielraum hat der Bundesrat, angeführt von Aussenminister Cassis, im Februar 2022 ausgenützt, um die Sanktionen der EU gegen Russland ohne Parlamentsdebatte zu übernehmen und die Schweiz dabei zur Partei in einem Wirtschaftskrieg zu machen, dessen Ziel der Sturz der russischen Regierung war. Die gegenwärtig besonders intensiv geforderte «Annäherung» an die NATO wird schon seit den 1990er Jahren im Rahmen der sog. «Partnerschaft für den Frieden» und des «Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat» (EAPC) betrieben.

Die Aufgabe der Neutralität durch Bundesrat Ignazio Cassis schaffte es sogar auf die Titelseite der New York Times und wurde weltweit wahrgenommen. Das war der Weckruf, der zur Lancierung der Neutralitätsinitiative führte, die am 11. April dieses Jahres eingereicht wurde.

Sie verlangt die Einführung eines Art. 54.a in die Bundesverfassung mit folgenden Bestimmungen:

  1. Die Schweiz ist neutral. Ihre Neutralität ist immerwährend und bewaffnet.
  2. Die Schweiz tritt keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis bei. Vorbehalten ist eine Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen für den Fall eines direkten militärischen Angriffs auf die Schweiz oder für den Fall von Handlungen zur Vorbereitung eines solchen Angriffs.
  3. Die Schweiz beteiligt sich nicht an militärischen Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten und trifft auch keine nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen gegen kriegführende Staaten. Vorbehalten sind Verpflichtungen gegenüber der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) sowie Massnahmen zur Verhinderung der Umgehung von nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen anderer Staaten.
  4. Die Schweiz nutzt ihre immerwährende Neutralität für die Verhinderung und Lösung von Konflikten und steht als Vermittlerin zur Verfügung.

Ein Dorn im Auge des Bundesrates ist vor allem Absatz 3, der die Beteiligung an nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen gegen kriegführende Staaten untersagt.

Dagegen wendet sich der Bundesrat mit pauschalen, aber keineswegs überzeugenden Argumenten:

«Eine Annahme der Initiative hätte negative Auswirkungen auf die Aussen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik der Schweiz. Die Neutralität würde als starres Konzept in der Bundesverfassung verankert und liesse kaum noch Spielraum, um auf aussenpolitische Herausforderungen reagieren zu können.»

Negative Auswirkungen auf die Aussen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik? Was für ein geschichtsvergessener Unsinn! Es war die Neutralität – Basis des Friedens –, die die Schweiz aus Kriegen gehalten und ihr Wohlstand beschert hat. Nicht die Anlehnung an hochgerüstete, informell Krieg führende Bündnisse wie die NATO bringt Sicherheit. Sicher sind Länder, die sich aus den Konflikten anderer heraushalten!

Auch wirtschaftspolitisch bietet die Neutralität erhebliche Vorteile, gerade in Zeiten, in den Sanktionen zum bevorzugten Instrument der nicht-militärischen Kriegsführung geworden sind. Gemäss der Global Sanctions Database sind zur Zeit 1325 Sanktionen in Kraft, 30 davon von der UNO und für die Schweiz verbindlich.
Aber vielleicht nimmt der Bundesrat mit seinem Hinweis auf negative wirtschaftspolitische Auswirkungen ja Bezug auf den Druck, der nach der russischen Invasion in die Ukraine offenbar auf die Schweiz ausgeübt wurde.

Der Bundesrat beklagt in seiner Botschaft mehrfach das «starre» Neutralitätsverständnis, das ihm durch die Initiative aufgezwungen würde. Das ist Nonsens! Die schweizerische Aussenpolitik ist mit der Neutralitätsinitiative freier und kann in Konfliktfällen autonom das Völkerrecht anmahnen oder sogar Massnahmen ergreifen. Sie hätte das auch im Fall der russischen Invasion in die Ukraine tun können, dabei korrekterweise auch andere vorgängige Völkerrechtsverletzungen benennen können. Ausgeschlossen ist nur die Beteiligung an den Zwangsmassnahmen Dritter.

Es ist klar, dass der Bundesrat ein derart zentrales politisches Prinzip wie die Neutralität lieber bei sich behalten und nach Belieben flexibilisieren möchte, anstatt sich nach verfassungsmässigen Vorgaben richten zu müssen. Er hat dies bei völkerrechtlichen Verträgen, die ja eine wachsende innenpolitische Bedeutung haben, immer wieder gezeigt. Es ist Zeit, dass in diesem wichtigen Polit-Bereich klare Verhältnisse geschaffen werden.

Aus heutiger Sicht hat die Initiative, die vor allem von gut posititionierten NATO-Freunden bekämpft wird, einen schweren Stand. Viele Menschen halten die NATO für einen Sicherheitsgarant. Aber sie ist im Gegenteil ein Risiko. Kein Bündnis hat in den letzten 30 Jahren so viele und so schwerwiegende Kriege angezettelt. Und sie betreibt – viele hören das nicht gerne – auch in der Ukraine eine gefährliche Eskalation, auch gerade jetzt:

So erwägt die NATO-Führung gemäss Admiral Rob Bauer, dem Vorsitzenden des NATO-Militärkomitees die Möglichkeit eines präemptiven Schlags gegen Russland im Fall eines bewaffneten Konflikts zwischen Moskau und der Allianz. «Es ist besser, nicht herumzusitzen und zu warten, bis man angegriffen wird, sondern die Abschusseinrichtungen Russlands ins Visier zu nehmen, falls es angreift. Wir müssen den ersten Schlag führen», sagte Bauer vor zwei Tagen. Unglaublich, ein Erstschlag!

Einem solchen Bündnis sollte man sich definitiv nicht annähern. Aber genau das will unsere Regierung, und das ist auch der Hauptgrund für ihre Ablehnung der Neutralitätsinitiative. Wenn es im nächsten Jahr zur Abstimmung kommt, wird es noch viel Überzeugungsarbeit brauchen.


Bundesrat: Botschaft zur Neutralitätsinitiative: Bundesrat beantragt Ablehnung ohne Gegenvorschlag. 27.11.2024

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Eine Antwort auf Der Bundesrat will die Neutralität weiter flexibilisieren können

  1. smirt sagt:

    Da füge ich gerne noch an, dass sich die GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Arme) seit Jahrzehnten für Frieden und Abrüstung einsetzt und gerade aktuell einen dringenden Appell zur Unterschrift bereithält:
    https://gsoa.ch/

    Danke

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